Donnerstag, 13. Januar 2011

Von Nebelhorn-Brummen bis Lokomotiven-Pfiff

Wilhelm Edel leitete ersten und einzigen Muschelchor in Europa – Vorbild Papua-Neuguinea – Neugründung gescheitert

Bad Nauheim-Nieder-Mörlen (ihm). 1947 gründete Wilhelm Edel aus Nieder-Mörlen den ersten und bislang einzigen Muschelchor in Europa: Muscheln wurden als Blasinstrument verwendet. Standort war Neuendettelsau, Vorbild ein Chor aus Papua-Neuguinea. Der Neuendettelsauer Chor besteht seit 1950 nicht mehr. Ein Versuch, das Projekt wieder aufleben zu lassen, scheiterte. Jetzt schrieb der Nieder-Mörlener die Geschichte auf.   

1947 nahm Edel sein Studium auf. „In der Bibliothek des Theologischen Seminars von Neuendettelsau fiel mir ein Karton auf“, erzählt er. Das Behältnis war mit großen Triton- und Kamm-Muscheln gefüllt. Der junge Mann erkundigte sich, was es damit auf sich habe. „Ein Missionar namens Heinrich Zahn hatte in Papua-Neuguinea einen Muschelchor auf die Beine gestellt“, hieß es. Das war vermutlich Anfang der dreißiger Jahre. Wie die Kiste ins Seminar geraten war, konnte der Student nicht in Erfahrung bringen.


Auch am Klavier kann man nach Zahlen spielen, wie Wilhelm Edel zeigt

Sein Interesse, ein ähnliches Projekt in Deutschland zu starten, war geweckt. Edel spielte Klavier und Orgel. Er konnte sich vorstellen, auch Muscheln wohlklingende Töne zu entlocken. Missionar Zahn hatte die Einwohner nach Zahlen spielen lassen – statt nach Noten. Ein geniales Prinzip, so Edel: „Eins bis sieben für die Grundoktave. Bei den höheren Tönen kommt bei gleicher Zahl ein Punkt obenauf. Bei der Oktave darunter kommt ein Punkt unter die Zahl.“ Edel verwendete diese Methode ebenfalls: „Das machte es auch einfacher, Interessenten zu finden, die mitwirken wollten.“ Er sprach Kommilitonen an, eine 21-köpfige Gruppe bildete sich. Die Muscheln wurden gereinigt und mit Kitt präpariert. Jede Muschel produzierte auf diese Weise den gewünschten Ton. „Man nimmt die Hand zu Hilfe, um Halbtöne zu erzeugen“, erläutert Edel. Jede Muschel sei ein individuelles Instrument. Sie könne nur von jemandem gespielt werden, der sich mit ihr auskennt.
Ehe die Studenten erstmals auftraten, probten sie ein Jahr. „Meistens spielten wir in Kirchen“, sagt Edel. Die Klangfarbe von Muscheln eigne sich besonders für Choräle. Zeitungen berichteten, und einmal kam der Bayerische Rundfunk (BR). Die Aufnahme scheiterte allerdings aus technischen Gründen. „Offenbar hatten damals Tonaufnahme- oder Tonwiedergabegeräte Schwierigkeiten mit Basstönen. Man stellte mit Bedauern fest, dass die Schwingungen der Bassmuscheln so breit wären, dass sie alles darüber löschen.“ Die Musiker versuchten einiges: Sie stellten sich in der Kirche, hinterm Altar, auf der Freitreppe und hinter einer Hecke auf. Nichts funktionierte, der BR musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Im Oktober 1950 schloss Edel sein Studium ab. Er verließ Neuendettelsau, der Chor schlief  ein. Vor fünf Jahren überlegte er, das Projekt wieder aufleben zu lassen. „Es hat mir viel Freude gemacht. Noch heute meine ich mitunter, die kräftigen Töne der Muscheln in mir zu hören“, sagt er. Ein Reporter habe seinerzeit vom Nebelhorn eines Ozeandampfers im Bass und vom hellen Pfiff einer Lokomotive im Diskant gesprochen. Edel erkundigte sich in Neuendettelsau, ob er die Instrumente haben könne. Die Antwort war abschlägig. „Schade“, sagt Edel. „Den Muschelchor noch mal zu gründen – das hätte mich schon gereizt.“
Ein Neffe ist Kirchenmusikdirektor. Kürzlich fragte er den Onkel, ob er die Geschichte des Chors  aufschreiben möchte. Edel hat das getan, die Schrift will er in kleiner Auflage drucken lassen.

erschienen in Wetterauer Zeitung, Donnerstag 13. Januar 2011

Text und Bild: Petra  Ihm-Fahle


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen