Freitag, 7. Januar 2011

Kaffee oder lieber Tee?

Sabine Mück

Einen Herzschlag lang war sie irritiert. Das Sonnenlicht sickerte schräg durch den Raum und wurde durch die Jalousie in kleine Abschnitte gefiltert, in denen glitzernde Staubpartikel tanzten. Nicht ihr Schlafzimmer… Sie drehte sich vorsichtig um. Er lag da, verstrubbelt wie ein kleiner Junge, ganz entspannt, im linken Mundwinkel hatte sich ein klein wenig Speichel gesammelt und war zu einer kleinen Pfütze getrocknet. Alles an ihm erschien ihr perfekt, und ihr Herz – oder welches Organ auch immer für Schmetterlinge im Bauch zuständig war, zog sich angenehm zusammen. So gerne hätte sie ihn gestreichelt, hätte seine Augenbrauen nachgezeichnet, seine Wimpern berührt. Aber er brauchte seinen Schlaf, die Nacht war anstrengend und lang gewesen…
Sie arbeiteten seit Jahren in der gleichen Werbeagentur. Sie im Controlling, er in der Grafik. Kaum berufliche Berührungspunkte. Ihre Begegnungen fanden zufällig im Aufzug oder in der Kantine statt und beschränkten sich auf ein Lächeln oder ein kurzes Hallo. Lange war sie in Versuchung gewesen, etwas in seiner Abteilung in Auftrag zu geben… die Menukarten für die Weihnachtsfeier zum Beispiel. Aber dann war sie vor dem Forcieren zurückgeschreckt, peinlich berührt von ihren romantischen Gedanken, Träumen… Wünschen.

Der Zufall hatte geholfen. Sie war nach dem Besuch des Fitnessstudios mit ein paar Kollegen um die Häuser gezogen und in der kleinen Kneipe gelandet. Und da saß er, versunken in seinem Rollkragenpullover und der Lederjacke und starrte sie durch die Rauchschwaden nachdenklich an. Sein Blick war gelassen, neugierig, aber er machte keine Anstalten, sich zu ihr zu setzen. Nach und nach verabschiedeten sich die Arbeitskollegen und sie saß allein an der Theke, umfasste ihren Weißwein wie den heiligen Gral und nippte ab und zu daran, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Er rauchte, trank mit großen Schlucken aus seinem Weizenbierglas, blätterte in einer alten Ausgabe vom STERN. Vielleicht war es ihr Wein oder diese unwirkliche Atmosphäre, aber plötzlich wollte sie nicht mehr nur zuschauen und abwarten. Sie rutschte vom Barhocker und setzte sich an seinen Tisch. „Hallo…“ Er lächelte sie an, so dass ihr Herz Purzelbäume schlug. „Das hat aber lange gedauert. Ich dachte schon, du hättest kein Interesse…“  

Alles war so harmonisch, so natürlich… Sie redeten, lachten, berührten sich erst wie zufällig, dann gezielter. Er legte seine Hand auf ihr Knie, sie schlüpfte aus ihren Pumps und platzierte den Fuß geschickt zwischen seinen Oberschenkeln. „Himmel“, er lachte… wir sollten schnellstens zu mir nach Hause gehen, bevor wir hier noch eine Anzeige kassieren.“ Es waren nur wenige Gehminuten, die sie eng umschlungen, küssend, kichernd, hinter sich brachten. Sie schafften es, die Haustür aufzuschließen und liebten sich auf dem engen Dielenboden…

Und jetzt lag sie hier, beobachtete ihn und ihr Hals war wie zugeschnürt vor lauter Glücklichsein. Ganz behutsam schob sie die Decke weg und stand auf. Ihr Slip lag neben seinen Boots im Flur, der BH hing am Schirmständer. Was für eine Nacht. Sie würde ihm jetzt Frühstück machen und dann könnten sie gemeinsam in die Agentur fahren. Gemeinsam. Ein himmlischer Gedanke.
Ob er wohl Kaffee zum Frühstück trank? Oder eher Tee?
Auf jeden Fall stand eine Kaffeemaschine in der Küche. Rasch legte sie eine neue Filtertüte ein und suchte nach dem Kaffeepulver. Der aromatische Duft verteilte sich glucksend in der Küche, während sie Besteck und Teller auf dem Tisch verteilte.
Er stand in der Tür und rieb sich etwas verlegen den Kopf… „Hi… du bist ja noch da?!“
Sein Blick fiel auf den gedeckten Tisch. „Hmmm, so einen Kaffee kann ich jetzt gut gebrauchen.“ Er umarmte sie kurz. „Wenn du willst, kann ich dich gleich mitnehmen. Du arbeitest doch auch in der Stadt, oder? Sag einfach, wo ich dich rauslassen soll…“ Und während ihre Schmetterlinge zusammensackten und sich wieder in hässliche Raupen verwandelten, versuchte sie, gelassen und gleichgültig zu lächeln.  


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