Gertrud Pintz-Böhler
„Damenwahl.“ Welche Dame hört’s nicht
gern? Der Leiter des Kurorchesters sagt’s, charmant wie immer. Da, wo er es
sagt, gibt’s kaum eine Tanzfläche – aber trotzdem: Es klingt so schön. Und das
ist nicht das Einzige, was so schön klingt. Die Herren des Kurorchesters lassen
sich was einfallen! Operette, Folklore, Ouvertüren, Jazz und Schlager und immer
wieder etwas Einstudiertes, dass das Stammpublikum nur so staunt. Bei Sonne,
bei trübem Wetter. Pärchen und Einzelgenießer, Grauhaarige und Jüngere, kommen
fast jeden Nachmittag um halb vier zum Kurkonzert, vielmehr zu ihren Freunden
oder wie zur eigenen Familie. Herzliches Begrüßen der Gäste untereinander und
besonders der Musiker.
Gertrud Pintz-Böhler |
Während des ersten Musikstücks verhaltenes
Lauschen, und einige versuchen zu erraten, was es ist, denn das erste Stück
wird erst später angesagt – aber schon bald ist das Ende der Passivität
angesagt. Die Zuhörer beginnen mitzumachen, sie schnalzen, klatschen und summen
mit, manche scheinen fast auf ihren Plätzen zu tanzen! Wenn es einen Csárdás
gibt, ist keiner mehr zu halten. Angeblich soll sich bei den Puszta-Klängen
zeigen, wer ungarisches Blut hat. Betroffene sollen außerstande sein, ruhig zu
bleiben. Wenn die Theorie stimmt, gibt es in der Zuschauermenge echte Magyaren.
Wer hätte das gedacht? Allerdings fährt bei „When the saints go marching in“
auch ein Feuersturm durch die Menge.
Inzwischen finden sich neue Interessenten
ein. Kinder, sehr kleine sogar, stehen da und starren auf die temperamentvollen
Leute und können nicht glauben, wozu die Großen fähig sind. Sogar ein Dackel
und ein Teichentenpärchen haben sich heute eingefunden und können nicht mehr
gehen.
Eineinhalb Stunden Untertauchen in eine
alltagsfremde Welt! Die Zuschauer beginnen zu träumen und sich zu erinnern:
„Die Csárdás-Fürstin“ haben wir doch in den 50er Jahren abends in der Küche
gehört, noch aus dem Volksempfänger! „Musik vor dem Schlafengehen.“
Alleinstehende Frauen jeglichen Alters träumen von Partnern, die sie begleiten und
die sich in Zigeuner oder Walzerkönige verwandeln. Viele Spätkommende bewegen
sich unbewusst im Takt auf ihrer Suche nach einem geeigneten Platz, und die
Kellnerin wirft, selbst beim Servieren, zu den Cancan-Klängen die Beine in die
Luft. Jeder versteht das. Wie überhaupt nach und nach jeder jeden versteht.
Möge es noch viele Jahre so weitergehen!