Montag, 3. Januar 2011

Im Peterhof oder anderswo

Gertrud Pintz-Böhler

Menschenmassen, schwitzend, umrahmt und bedrängt von anderen Menschenmassen, jeder einzelne, um Jahre gealtert, mit lauernden Augen, drängend und schiebend, als gelte es, alles zu verlieren, ein Ziel, vielleicht das letzte, noch zu erreichen.


Gertrud Pintz-Böhler


Der graue Menschenwurm wogt nach allen Seiten und hält zögernd vor einer Kasse und wartet und stößt und schwitzt. Ebenso hier, in der Bewegungslosigkeit, ein Warten, Stoßen und Schwitzen. Keiner weiß, wann es endlich losgeht, wann sie die Kasse öffnen, eingekeilt, Teil des grauen Wurms, Warten und Warten. Endlich angekommen am Ziel, die Türen der Wohnsäle sind geöffnet. Glanz legt sich auf die müden Gesichter.

Diese Spiegel, diese Pracht versunkener Zeiten, glänzendes unendliches Parkett, glänzend, von der Sonne beschienen, die durch die Fenster drängt, Parkettboden wie eine einzige Bahn, die direkt in die Sonne lenkt. Pracht, unüberschaubar, Pracht vergangener Zeiten! Diese unzähligen Luxusgüter. Hatte die Königin 15 000 Gewänder oder waren es nur 12 000? Hat ihr Gemahl seinen Sohn umbringen lassen oder starb er durch Zufall?
Wie auch immer. Alle Ermordeten, zufällig Gestorbenen und auch die sehr lang am Leben Gebliebenen sind für immer hier abgebildet, in Feierabendpose, in pompösem Rahmen, lächeln sie pastellfarben auf die Nachfahren herab, der eine oder andere riskiert ein mahnendes Auge.

Man staunt, man drängt, man schwitzt und stöhnt. „Wenn ich nur keine Füße hätte!“ Trotzdem geht’s weiter, bis man das letzte Zimmer erreicht hat.

Später im Schlosspark das ähnliche Ritual, weiter, von Beet zu Beet, von Statue zu Statue, bis der Busfahrer, der freiwillig mitgeht, sich räuspert, bis der Reiseleiter auf die Uhr blickt.

Nein, hier zurückbleiben, in der Fremde, wer weiß, wo, was dann geschähe, nicht auszudenken. Darum: Schnell, schnell, denn abends droht ein neues Programm und Füße hochlegen ist nicht gestattet.

So geht es weiter, Tag für Tag, Abend für Abend, bis die 14 Tage zu Ende sind, man zu Hause ist und den Nachbarn sagen kann: „Es war doch ein großes Erlebnis.“


Copyright Gertrud Pintz-Böhler

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