Dienstag, 25. Januar 2011

Autorenclub tagt

Der Wetterauer Autorenclub Stories in Aspik lädt für Samstag, 29.01.11 (14.30 Uhr), zur monatlichen Zusammenkunft ein. Wir treffen uns in einem Café in Bad Nauheim. Dort lesen und diskutieren wir selbstgeschriebene Texte, das Thema lautet "Fließen". Wer etwas vortragen oder zunächst nur zuhören will, ist eingeladen. Um Anmeldung wird gebeten: 0177/705 18 25.



Giraffe und Frosch

Ulla Link

Die Giraffe wirkte irgendwie verändert. War sie sonst immer mit erhobenem Kopf und hochgereckter Nase an dem kleinen Frosch vorbeigegangen und hatte ihn somit nicht einmal wahrgenommen, hielt sie den Kopf heute gesenkt. Sie murmelte Unverständliches, dann hob sie mit großer Mühe die rechte Hufe nach oben, im nächsten Moment legte sie sich auf den Boden mit angewinkelten Beinen und schaute dabei zu den weißen Wolken, die vereinzelt über den weißen Himmel dahineilten.


Trotz der kurzen Lebenszeit, die den Fröschen auf dieser Erde bleibt, hatte der kleine Geselle schon so manches Merkwürdige gesehen, weil er so tief unten lebte. Aber dieses Schauspiel war ungewöhnlich und verlangte nach Aufklärung.

So blickte der Frosch treuherzig nach oben, gab ein paar Quaklaute, so laut er nur konnte und winkte mit seinen kleinen Händen.

Nicht mal ignorieren, schoss es der Giraffe zunächst durch den Kopf. Aber, desolat, wie ihre Verfassung war, entschied sie, dass es besser sei, mit einem Geringen zu sprechen als überhaupt nicht reden zu können.

Der Frosch hatte schon angefangen, als die Giraffe sich etwas hinunterbeugte.
…murmelst du, verrenkst deine Glieder, schaust nach oben und wirfst dich auf die Erde?

Nun Frosch, es scheint mir, als weißt du über die Dinge, die die Welt im Innersten  zusammenhalten, wenig Bescheid. Die Giraffe seufzte mitleidig.

Ich bete. Ich bete zum Gott der Giraffen, den du natürlich nicht kennst, weil euch Fröschen da unten der Bezug zum Höheren fehlt. In der letzten Zeit sind meine Probleme immer größer geworden. Mein Mann ist krank, vielleicht betrügt er mich auch, meine Kinder haben mich verlassen und die Madenhacker leisten keine saubere Arbeit mehr, so dass ich den ganzen Tag an meinem Körper kratzen möchte, was ich aber, wenn du einmal kurz auf meine Hufen schauen willst, natürlicherweise nicht tun kann. Kurz und gut: Mir geht es wirklich schlecht und der Gott der Giraffen wird mir hoffentlich helfen.

Meinst du wirklich, dass euer Giraffengott deinen Juckreiz so wichtig nehmen wird, dass er sich damit aus der Ewigkeit, zumindest für gewisse Zeit, verabschiedet und an dir ein Wunder tut? Übrigens – ich habe wohl schon hundert Giraffendamen mit Juckreiz, untreuem Ehemann und verschwundenen Kindern kennengelernt. Und wenn du willst, dass dein Mann dich nicht mehr betrügt, solltest du wohl eher einmal den bestialischen Gestank, den du verbreitest, im Wasserloch verringern.

Damit machte sich der Frosch von dannen, denn das Beten der Giraffendame hatte ihn daran erinnert, dass er selbst sich heute noch nicht nach Norden verneigt, einen Grashalm geknickt und zweimal sein Bein in die Luft gehalten hatte, wie es sich nun einmal für einen Froschmann geziemte.

Nach einem Jahr trafen sich Frosch und Giraffe wieder. Dass sie sich wahrnahmen, lag wohl daran, dass die Giraffendame ihren Kopf noch tiefer als beim letzten Mal trug.


Hallo, sagte der Frosch und blies sich etwas auf, kennen wir uns nicht vom vorigen Jahr? Sie hatten doch einen da oben, dabei reckte er den Kopf, für Ihren Juckreiz und so weiter?                 

Ach, stellen Sie sich vor, Herr Frosch, mein Mann lief davon, meine Kinder tauchten nicht wieder auf, mein Juckreiz quält mich Tag und Nacht. Ich versuchte es, mit dem da oben, Sie wissen schon, dann mit den sieben Zahlen, die eine Freundin empfahl, aber nichts half.

Versuchen Sie es einmal mit Grashalmknicken und der Verneigung nach…

Weiter kam der Frosch leider nicht, denn das Nashorn hatte beschlossen, seinen Fuß genau dahin zu setzen, wo der Frosch soeben noch verweilt hatte.

Die Sonne schien weiter, der Juckreiz hörte nicht auf und der Frosch war nun tot.

Die Giraffe trampelte von dannen.
 

Copyright Ulla Link

Samstag, 22. Januar 2011

Es war Herbst

Anne Heyn

Der Wind fegte durch die Bäume, bis sie ihre Blätter freigaben. In allen Farben wiegten sie sich in der kalten Luft und bevölkerten den Boden, bis der Mann kam, um sie zu einem Haufen zusammenzukehren und so der Vielfalt ein Ende bereitete.
Der Regen überschwemmte die leeren Gassen, durch die nur ab und an ein paar Gestalten huschten, die Köpfe in ihre Kapuzen eingezogen, wie der Strauß den seinen im Sand.
Vom Sand konnte man nur träumen; die paar Mütter, die dennoch versucht hatten, ihren Kindern den Spielplatz zu zeigen, starrten nun entgeistert auf ihre Sprösslinge, deren Hosenböden im Matsch des Sandkastens durchnässten.
Mürrisch raufte sich die Luft die Haare, bis ein Kind anfing zu schreien und dies zum Zeichen des allgemeinen Aufbruchs genommen wurde.
Die Welt lag wieder einsam, die Natur genoss die Stille zwischen den Autos, deren Reifen das Wasser auf den Straßen durchbarsten.
Ich lag in meinem Baumhaus auf der Lauer, doch es kam kein Gedanke mehr vorbei. Meine Thermoskanne hatte noch ein wenig Tee mit Rum aufgespart, den trank ich, bis mir wärmer wurde. Wohlig schlief ich ein und träumte von was Schönem, statt zu schreiben, wie ich es mir vorgenommen hatte. Denn diese Zeit gibt einfach keine guten Geschichten her.           


Copyright Anne Heyn 

Dienstag, 18. Januar 2011

TORTUGA - Piratenliebe

Beatrix Michel

Wie lebe ich in Vaters Schänke                               
Wartend nur auf dich mit Pein                      
Träumt wie ich hernieder sänke                      
Will nur dir zu Willen sein.                               
                                                                                
Lausche dem Piratenlachen                                        
Klangvoll und zum Niederknien                                         
Alles kannst du mit mir machen                                     
Hab dem Schicksal nie verziehn                        
Dass du segelst – immer weiter –
Und ich bleib am Strand zurück                                     
Sehnsucht ist mein Wegbegleiter                                     
Zieht mich mit sich – Stück für Stück.

Jetzt geh ich und schau aufs Meer  
Stehe hier im weichen Sand
Nimm mein Herz, es glüht so sehr
Du hast es mir angebrannt.

Brennen will ich – weiter brennen
Du das Streichholz – ich der Docht
Nur – wie wir Piraten kennen –
Segeln sie – mein Herz – es pocht.


Copyright Beatrix Michel  

Donnerstag, 13. Januar 2011

Von Nebelhorn-Brummen bis Lokomotiven-Pfiff

Wilhelm Edel leitete ersten und einzigen Muschelchor in Europa – Vorbild Papua-Neuguinea – Neugründung gescheitert

Bad Nauheim-Nieder-Mörlen (ihm). 1947 gründete Wilhelm Edel aus Nieder-Mörlen den ersten und bislang einzigen Muschelchor in Europa: Muscheln wurden als Blasinstrument verwendet. Standort war Neuendettelsau, Vorbild ein Chor aus Papua-Neuguinea. Der Neuendettelsauer Chor besteht seit 1950 nicht mehr. Ein Versuch, das Projekt wieder aufleben zu lassen, scheiterte. Jetzt schrieb der Nieder-Mörlener die Geschichte auf.   

1947 nahm Edel sein Studium auf. „In der Bibliothek des Theologischen Seminars von Neuendettelsau fiel mir ein Karton auf“, erzählt er. Das Behältnis war mit großen Triton- und Kamm-Muscheln gefüllt. Der junge Mann erkundigte sich, was es damit auf sich habe. „Ein Missionar namens Heinrich Zahn hatte in Papua-Neuguinea einen Muschelchor auf die Beine gestellt“, hieß es. Das war vermutlich Anfang der dreißiger Jahre. Wie die Kiste ins Seminar geraten war, konnte der Student nicht in Erfahrung bringen.


Auch am Klavier kann man nach Zahlen spielen, wie Wilhelm Edel zeigt

Sein Interesse, ein ähnliches Projekt in Deutschland zu starten, war geweckt. Edel spielte Klavier und Orgel. Er konnte sich vorstellen, auch Muscheln wohlklingende Töne zu entlocken. Missionar Zahn hatte die Einwohner nach Zahlen spielen lassen – statt nach Noten. Ein geniales Prinzip, so Edel: „Eins bis sieben für die Grundoktave. Bei den höheren Tönen kommt bei gleicher Zahl ein Punkt obenauf. Bei der Oktave darunter kommt ein Punkt unter die Zahl.“ Edel verwendete diese Methode ebenfalls: „Das machte es auch einfacher, Interessenten zu finden, die mitwirken wollten.“ Er sprach Kommilitonen an, eine 21-köpfige Gruppe bildete sich. Die Muscheln wurden gereinigt und mit Kitt präpariert. Jede Muschel produzierte auf diese Weise den gewünschten Ton. „Man nimmt die Hand zu Hilfe, um Halbtöne zu erzeugen“, erläutert Edel. Jede Muschel sei ein individuelles Instrument. Sie könne nur von jemandem gespielt werden, der sich mit ihr auskennt.
Ehe die Studenten erstmals auftraten, probten sie ein Jahr. „Meistens spielten wir in Kirchen“, sagt Edel. Die Klangfarbe von Muscheln eigne sich besonders für Choräle. Zeitungen berichteten, und einmal kam der Bayerische Rundfunk (BR). Die Aufnahme scheiterte allerdings aus technischen Gründen. „Offenbar hatten damals Tonaufnahme- oder Tonwiedergabegeräte Schwierigkeiten mit Basstönen. Man stellte mit Bedauern fest, dass die Schwingungen der Bassmuscheln so breit wären, dass sie alles darüber löschen.“ Die Musiker versuchten einiges: Sie stellten sich in der Kirche, hinterm Altar, auf der Freitreppe und hinter einer Hecke auf. Nichts funktionierte, der BR musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Im Oktober 1950 schloss Edel sein Studium ab. Er verließ Neuendettelsau, der Chor schlief  ein. Vor fünf Jahren überlegte er, das Projekt wieder aufleben zu lassen. „Es hat mir viel Freude gemacht. Noch heute meine ich mitunter, die kräftigen Töne der Muscheln in mir zu hören“, sagt er. Ein Reporter habe seinerzeit vom Nebelhorn eines Ozeandampfers im Bass und vom hellen Pfiff einer Lokomotive im Diskant gesprochen. Edel erkundigte sich in Neuendettelsau, ob er die Instrumente haben könne. Die Antwort war abschlägig. „Schade“, sagt Edel. „Den Muschelchor noch mal zu gründen – das hätte mich schon gereizt.“
Ein Neffe ist Kirchenmusikdirektor. Kürzlich fragte er den Onkel, ob er die Geschichte des Chors  aufschreiben möchte. Edel hat das getan, die Schrift will er in kleiner Auflage drucken lassen.

erschienen in Wetterauer Zeitung, Donnerstag 13. Januar 2011

Text und Bild: Petra  Ihm-Fahle


Dienstag, 11. Januar 2011

Die Frau

Michael Neid

Die Tür des Cafés öffnet sich. Ein Hauch warme Frühlingsluft schwingt mit herein. Sie geht ruhig und aufrecht zu einem freien Tisch neben der Tür, ihre Absätze sind trotz der lauten Musik zu hören. Die Handtasche platziert sie auf einem Stuhl, ihren leichten Mantel legt sie über einen anderen, auf den dritten setzt sie sich. Sie schlägt die Beine graziös übereinander und nimmt mit zierlichen Fingern eine Getränkekarte.
Ich wende mich bemüht meiner Zeitung zu, jedoch nur kurz, denn ihr Anblick zieht Aufmerksamkeit auf sich. Das Sonnenlicht spiegelt sich in ihrem Gesicht und ein warmer Wind spielt mit ihrem Haar. Sie ist jung und alles an ihr sehr schön.

Ein Kellner eilt heran. Er wartet geduldig und nimmt ausgesprochen freundlich ihre Bestellung entgegen. Auch andere Gäste sind von ihr berührt, einige rutschen sogar unruhig hin und her. Als der Kellner serviert, bedankt sie sich mit einem bezaubernden Lächeln. Er errötet, zieht sich ungeschickt zurück und wendet sich verwirrt einem anderen Tisch zu. Sie blickt sich um. Auch mich streift ihr Blick, doch er geht durch mich hindurch, als suche sie etwas viel weiter hinter mir. Für lange Sekunden blickt sie auf ihre Armbanduhr. Offensichtlich erwartet sie jemanden, denn sie schaut durchs Fenster.
Michael Neid

Ich falte meine Zeitung neu auf und sehe hinein. Meine Gedanken kreisen noch kurz um sie und um den Mann, mit dem sie wohl verabredet ist.

Geraume Zeit später lege ich das Blatt zur Seite. Mein Kaffee ist kalt, ich rühre trotzdem um und nippe, als sei er noch heiß. Sie sitzt immer noch allein. Der Sonnenschimmer ist schon von ihr gewichen. Den Blick hat sie der Straße zugewandt, nur gelegentlich sieht sie auf ihre Uhr.
Ein Gast fragt ohne große Höflichkeit, ob noch ein Stuhl frei sei. Sie schreckt auf. Für einen Moment legt sich warmer Glanz auf ihr Gesicht, und sie nickt. Der Mann stellt ihre Tasche auf den Boden und entfernt sich samt Stuhl zu einem anderen vollbesetzten Tisch. Sie wendet sich wieder der Straße zu. Nach wie vor ist sie schön. Ich frage mich, wer sie solange warten läßt.

Viel später falte ich die Zeitung zu und leere die Tasse. Die Frau sitzt im Halbdunkel neben der Tür, still und kaum wahrnehmbar. Eilig nähert sich der Kellner, nimmt ihren Mantel und gibt ihn ihr achtlos, um den letzten freien Stuhl zu einem anderen Tisch zu tragen. Die Frau klammert sich an das Kleidungsstück und starrt vor sich. Mit Bedacht öffnet sie ihr Portemonnaie und holt Münzen hervor, die sie zaghaft auf den Tisch legt. Sie steht langsam auf und zieht sich umständlich den Mantel über. Dann klemmt sie ihre Tasche unter den Arm und hebt ein letztes Mal schwach ihren Kopf. Ihr Blick ist trüb und wie gebrochen.

Unbemerkt verlässt sie das Lokal, die Musik ist verstummt und als sie die Tür öffnet, zieht ein scharfer Wind herein. Durchs Fenster sehe ich sie davongehen. Ihre Gestalt ist gebückt unter einem großen schweren Mantel und ihr langes graues Haar flattert wirr in dem kalten Herbststurm.

Ein Kellner säubert schon ihren Platz.          

Freitag, 7. Januar 2011

Kaffee oder lieber Tee?

Sabine Mück

Einen Herzschlag lang war sie irritiert. Das Sonnenlicht sickerte schräg durch den Raum und wurde durch die Jalousie in kleine Abschnitte gefiltert, in denen glitzernde Staubpartikel tanzten. Nicht ihr Schlafzimmer… Sie drehte sich vorsichtig um. Er lag da, verstrubbelt wie ein kleiner Junge, ganz entspannt, im linken Mundwinkel hatte sich ein klein wenig Speichel gesammelt und war zu einer kleinen Pfütze getrocknet. Alles an ihm erschien ihr perfekt, und ihr Herz – oder welches Organ auch immer für Schmetterlinge im Bauch zuständig war, zog sich angenehm zusammen. So gerne hätte sie ihn gestreichelt, hätte seine Augenbrauen nachgezeichnet, seine Wimpern berührt. Aber er brauchte seinen Schlaf, die Nacht war anstrengend und lang gewesen…
Sie arbeiteten seit Jahren in der gleichen Werbeagentur. Sie im Controlling, er in der Grafik. Kaum berufliche Berührungspunkte. Ihre Begegnungen fanden zufällig im Aufzug oder in der Kantine statt und beschränkten sich auf ein Lächeln oder ein kurzes Hallo. Lange war sie in Versuchung gewesen, etwas in seiner Abteilung in Auftrag zu geben… die Menukarten für die Weihnachtsfeier zum Beispiel. Aber dann war sie vor dem Forcieren zurückgeschreckt, peinlich berührt von ihren romantischen Gedanken, Träumen… Wünschen.

Der Zufall hatte geholfen. Sie war nach dem Besuch des Fitnessstudios mit ein paar Kollegen um die Häuser gezogen und in der kleinen Kneipe gelandet. Und da saß er, versunken in seinem Rollkragenpullover und der Lederjacke und starrte sie durch die Rauchschwaden nachdenklich an. Sein Blick war gelassen, neugierig, aber er machte keine Anstalten, sich zu ihr zu setzen. Nach und nach verabschiedeten sich die Arbeitskollegen und sie saß allein an der Theke, umfasste ihren Weißwein wie den heiligen Gral und nippte ab und zu daran, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Er rauchte, trank mit großen Schlucken aus seinem Weizenbierglas, blätterte in einer alten Ausgabe vom STERN. Vielleicht war es ihr Wein oder diese unwirkliche Atmosphäre, aber plötzlich wollte sie nicht mehr nur zuschauen und abwarten. Sie rutschte vom Barhocker und setzte sich an seinen Tisch. „Hallo…“ Er lächelte sie an, so dass ihr Herz Purzelbäume schlug. „Das hat aber lange gedauert. Ich dachte schon, du hättest kein Interesse…“  

Alles war so harmonisch, so natürlich… Sie redeten, lachten, berührten sich erst wie zufällig, dann gezielter. Er legte seine Hand auf ihr Knie, sie schlüpfte aus ihren Pumps und platzierte den Fuß geschickt zwischen seinen Oberschenkeln. „Himmel“, er lachte… wir sollten schnellstens zu mir nach Hause gehen, bevor wir hier noch eine Anzeige kassieren.“ Es waren nur wenige Gehminuten, die sie eng umschlungen, küssend, kichernd, hinter sich brachten. Sie schafften es, die Haustür aufzuschließen und liebten sich auf dem engen Dielenboden…

Und jetzt lag sie hier, beobachtete ihn und ihr Hals war wie zugeschnürt vor lauter Glücklichsein. Ganz behutsam schob sie die Decke weg und stand auf. Ihr Slip lag neben seinen Boots im Flur, der BH hing am Schirmständer. Was für eine Nacht. Sie würde ihm jetzt Frühstück machen und dann könnten sie gemeinsam in die Agentur fahren. Gemeinsam. Ein himmlischer Gedanke.
Ob er wohl Kaffee zum Frühstück trank? Oder eher Tee?
Auf jeden Fall stand eine Kaffeemaschine in der Küche. Rasch legte sie eine neue Filtertüte ein und suchte nach dem Kaffeepulver. Der aromatische Duft verteilte sich glucksend in der Küche, während sie Besteck und Teller auf dem Tisch verteilte.
Er stand in der Tür und rieb sich etwas verlegen den Kopf… „Hi… du bist ja noch da?!“
Sein Blick fiel auf den gedeckten Tisch. „Hmmm, so einen Kaffee kann ich jetzt gut gebrauchen.“ Er umarmte sie kurz. „Wenn du willst, kann ich dich gleich mitnehmen. Du arbeitest doch auch in der Stadt, oder? Sag einfach, wo ich dich rauslassen soll…“ Und während ihre Schmetterlinge zusammensackten und sich wieder in hässliche Raupen verwandelten, versuchte sie, gelassen und gleichgültig zu lächeln.  


Copyright Sabine Mück

Mittwoch, 5. Januar 2011

Restlichtverstärker

Roland Peter Kellner

"Was ist das für ein kleines Brot, was Sie da in der Mitte liegen haben?"
"Das dunkle hier? Das ist so ein Rest - von dem Roggenbrot."
Fast entschuldigend, in Rechtfertigungsnöten, sagte dies die Frau hinter der Bäckerladentheke zu mir.
Ein Rest also. Nun, warum nicht, für mich reicht ein Rest. Ist ja trotzdem Brot und hat mehr Kruste, aber die mag ich ja. Knusprig ist die, und herzhafter als das Innere.
"Ich wiege es Ihnen grad mal. Ein halbes Pfund ist das, 70 Cent, bitte!"
70 Cent. Ein Rest Brot für Restgeld.
"Soll ich es Ihnen schneiden?"
"Danke, das mach' ich selbst."
Ein halbes Pfund Brot zu schneiden, das traue ich mir dann schon zu. Das schaffe ich alleine.

Der Weg nach Hause war kurz, fast zu kurz, an diesem Frühlingstag, der warm und duftend war wie der kleine Leib Roggenmischbrot in meiner linken Hand, mit dem ich schlendernd die Straße entlang ging, zwischen Daumen und Zeigefinger prüfend die Frische ertastend.
Es gibt immer irgendwo einen Rest Licht, der auch in traurige Augen scheint, dachte ich, der den Appetit nicht vergehen lässt, der einen von kleinen Broten satt werden lässt, ist nur die Kruste knusprig genug und ein wenig Duft nach Leben darin.
Restlos glücklich ist sowieso niemand.


Copyright Roland Peter Kellner 

Montag, 3. Januar 2011

Im Peterhof oder anderswo

Gertrud Pintz-Böhler

Menschenmassen, schwitzend, umrahmt und bedrängt von anderen Menschenmassen, jeder einzelne, um Jahre gealtert, mit lauernden Augen, drängend und schiebend, als gelte es, alles zu verlieren, ein Ziel, vielleicht das letzte, noch zu erreichen.


Gertrud Pintz-Böhler


Der graue Menschenwurm wogt nach allen Seiten und hält zögernd vor einer Kasse und wartet und stößt und schwitzt. Ebenso hier, in der Bewegungslosigkeit, ein Warten, Stoßen und Schwitzen. Keiner weiß, wann es endlich losgeht, wann sie die Kasse öffnen, eingekeilt, Teil des grauen Wurms, Warten und Warten. Endlich angekommen am Ziel, die Türen der Wohnsäle sind geöffnet. Glanz legt sich auf die müden Gesichter.

Diese Spiegel, diese Pracht versunkener Zeiten, glänzendes unendliches Parkett, glänzend, von der Sonne beschienen, die durch die Fenster drängt, Parkettboden wie eine einzige Bahn, die direkt in die Sonne lenkt. Pracht, unüberschaubar, Pracht vergangener Zeiten! Diese unzähligen Luxusgüter. Hatte die Königin 15 000 Gewänder oder waren es nur 12 000? Hat ihr Gemahl seinen Sohn umbringen lassen oder starb er durch Zufall?
Wie auch immer. Alle Ermordeten, zufällig Gestorbenen und auch die sehr lang am Leben Gebliebenen sind für immer hier abgebildet, in Feierabendpose, in pompösem Rahmen, lächeln sie pastellfarben auf die Nachfahren herab, der eine oder andere riskiert ein mahnendes Auge.

Man staunt, man drängt, man schwitzt und stöhnt. „Wenn ich nur keine Füße hätte!“ Trotzdem geht’s weiter, bis man das letzte Zimmer erreicht hat.

Später im Schlosspark das ähnliche Ritual, weiter, von Beet zu Beet, von Statue zu Statue, bis der Busfahrer, der freiwillig mitgeht, sich räuspert, bis der Reiseleiter auf die Uhr blickt.

Nein, hier zurückbleiben, in der Fremde, wer weiß, wo, was dann geschähe, nicht auszudenken. Darum: Schnell, schnell, denn abends droht ein neues Programm und Füße hochlegen ist nicht gestattet.

So geht es weiter, Tag für Tag, Abend für Abend, bis die 14 Tage zu Ende sind, man zu Hause ist und den Nachbarn sagen kann: „Es war doch ein großes Erlebnis.“


Copyright Gertrud Pintz-Böhler

Sonntag, 2. Januar 2011

Daisy

Ursula Karthein

Mäuse will niemand im Haus haben: Sie könnten Hanta-Viren übertragen und Stromkabel anknabbern. Darauf jedenfalls beschränkte sich mein Wissen über die kleinen Nager.
Daisy belehrte mich eines anderen. Im letzten Winter fiel sie mir erstmals auf, weil sie sich im Garten am Vogelfutter bedient hatte. Sie verputzte es in ihrem Versteck. Wie ich später feststellte, lag dieser geheime Ort hinter meiner Schlafzimmer-Kommode. Als ich die leeren Hülsen der Sonnenblumenkerne entdeckte, lächelte ich (noch) milde. Wie schön: Das niedliche Wesen überlebte die strenge Kälte und musste nicht verhungern.
Ein halbes Jahr später entdeckte ich an selber Stelle wieder einen kleinen Haufen. Diesmal waren es Blätter. Ich dachte sofort an Daisy, die ich inzwischen so nannte. Baute sie ein Nest? Mir wurde mulmig zumute. Nein! Kleine Daisys möchte ich nicht in meiner Wohnung haben. Sie gebären nicht nur zwei oder drei Junge… bei Mäusen spricht man von Wurf.

„Da kann nur der Nabu helfen“, dachte ich. Ein hilfsbereites Vereins-Mitglied lachte aus tiefem Herzen, als ich meine Story erzählte. Ich fand es ja auch ein bisschen lustig. Der junge Mann empfahl mir ein Pulver. Zudem streifte er das Thema Mausefalle, was ich von mir wies. Kein Tier wird bei mir getötet.

Ich recherchierte im Internet. Unter „Hexenküche.de“ stand unter anderem: Pfefferminz-Pflanzen und Oleander vertreiben Mäuse. Ich erwarb beides. Die Verkäuferin fand, in meinem Schlafzimmer sei ja eine Menge los. „Wie vor 40 Jahren“, antwortete ich verwegen.

Daisy ließ sich jedoch nicht abschrecken. Jeden Abend fand sie den Weg in den Schlafraum… und ab durch die Tür nach draußen. Zum Futter!
Da sie oft auch von meinem Arbeitszimmer kam, untersuchte ich den Bettkasten der dortigen Couch. Aha! Kleine Knödel häuften sich auf den Laken für die Übernachtungsgäste.
Auf der Couch schläft üblicherweise meine Hündin Yulia. Was, wenn sie mit Daisy kurzen Prozess machte? Das wollte ich keinesfalls.  
Als der Schmutz immer mehr zunahm, entschloss ich mich zum Kauf einer Lebendfalle. Ich bestückte sie mit Bio-Salami und stellte sie abends auf. Ein Geschirrtuch, darüber drapiert, sollte Daisy und mir den schrecklichen Anblick ersparen.
Morgens fand ich die Maus in der Falle. Ich redete beruhigend auf sie ein und fuhr mit ihr in Richtung Ober-Mörlen. Zwischen Wald und Wiese ließ ich sie frei. Ich wünschte ihr alles Liebe für ihr weiteres Leben.
„Nun ist’s vorbei“, dachte ich. „Du hast ein gutes Werk getan, der Mäusegott wird dich belohnen.“

Teil zwei – die Belohnung…

Freitagabend, 30. Juli 2010. Mario Barth machte seine Späße im TV, als mir plötzlich das Lachen im Hals steckenblieb.
Eine Maus huschte an mir vorbei. War es Daisy – oder ihr Mann Anton? Sein kurzer Blick war wie: „Mach dir keine Sorgen, ich kenne mich aus.“ Anton verschwand im Arbeitszimmer unter der Couch.
Die Falle lag noch griffbereit. Ich bestückte sie mit Hundefutter von Yulia.
Nächster Morgen: Futter weg, Falle noch gespannt und Anton im Bettkasten unter der Couch. Ich kaufte erneut Bio-Salami, gut geräuchert und von Gourmet-Qualität.

„Danach geht’s ab zu Daisy. Die zwei müssen sich wieder finden“, nahm ich mir vor.

Sonntag früh, 1. August 2010: In der Falle lag ein winziges Etwas. Es sah absolut nicht nach stattlichem Anton aus, eher eine halbwüchsige Tochter von Daisy. Natürlich ein Mädchen – ich bin Feministin.
Auch Maisy, wie ich sie nannte, wurde ausgesetzt. Dort, wo ihre Mama war.

Bis jetzt keine Mäuse mehr.


Copyright Ursula Karthein